An der Börse wächst die Angst vor einem Crash.
Das trifft vor allem die Werte prominenter
Wachstumsfirmen, auf die auch viele
Kleinanleger gesetzt haben. Drohen die neuen
Volksaktien zu Rohrkrepierern zu werden?
Sie waren gefeierte Börsenstars, doch nun geht
es für sie vor allem in eine Richtung: abwärts. Die
Aktien des Impfstoffherstellers Biontech haben
in diesem Jahr 42,5 Prozent an Wert verloren. Für
den Konferenzanbieter Zoom ging es um rund 20
Prozent bergab. Und für den Streamingdienst
Netflix sogar um 34 Prozent.
Technologie- und Wachstumsaktien galten in der
Coronakrise lange als sichere Wette, auch bei
Otto-Normal-Anlegern. Angesichts von
Lockdown-Langeweile und Frust über Strafzinsen
fand eine neue Generation von Hobbyhändlern
den Weg an die Börse
- und setzte dort mit
Vorliebe auf bekannte Namen. Doch auf die Börsenparty folgt nun der große
Kater. So machte der Technologieindex Nasdaq
seit Jahresbeginn ein Minus von etwa 11,5
Prozent - das ist der mieseste Jahresauftakt seit
dem Jahr 2008, als die globale Finanzkrise die
Märkte kollabieren ließ. Aber auch der Leitindex
Dax steht mächtig unter Druck: steigende Zinsen,
die Omikron-Welle und der Konflikt in der Ukraine
belasten die Stimmung. Geht der Börse die Luft
aus? Von einem Crash will Gertrud Traud,
Chefvolkswirtin der Helaba, nicht sprechen
wohl aber von einer »Korrektur«. »Sie trifft vor
allem Wachstums- und Technologieaktien, die
besonders hoch bewertet waren«.
Tatsächlich ist die Kritik an den luftigen
Bewertungen von Börsenstars wie Tesla, Delivery
Hero oder Zoom alles andere als neu: Warnungen
vor einer Uberbewertung, insbesondere bei
Technologieaktien, gibt es schon länger. In einer
Umfrage der Deutschen Bank stimmten zuletzt
49 Prozent der befragten Profi-Anleger der
Aussage zu, dass es eine Blase bei
Technologieaktien gibt. Alles dreht sich um die Frage, in welchem Tempo
die Notenbanken die Leitzinsen erhöhen werden.
Trotzdem konnten Anleger der Versuchung nicht
widerstehen. Doch nun ändern sich die
Rahmenbedingungen womöglich grundlegend:
Angesichts steigender Inflation wächst der
Handlungsdruck auf die Notenbanken, die Zinsen
zu erhöhen. Börsianer erwarten, dass die US-
Notenbank Fed am Mittwoch konkrete Schritte
ankündigen wird. »Alles dreht sich um die Frage,
in welchem Tempo die Notenbanken die
Leitzinsen erhöhen werden«, sagt Helaba-
Okonomin Traud. Steigende Zinsen könnten
insbesondere den Wachstumsfirmen die
Kreditaufnahme erschweren, zudem dämpfen sie
die allgemeinen Konjunkturaussichten - und
damit auch die Marktchancen. »Höhere Zinsen
und niedrigere Gewinne sind eine schlechte
Kombination für Schuldtitel und Aktien«, schreibt
Michael Hartnett, Chef-Anlagestratege der Bank
of America. Dazu kommen politische Risiken, allen voran die
Sorge vor einem Einmarsch Russlands in der
Ukraine. Die geopolitische Unsicherheit sei ein
zusätzlich belastender Faktor, so Helaba-Expertin
Traud. »In solchen Situationen gehen die
Marktteilnehmer erst einmal in Deckung.«
Wie haben sich die Aktien der Börsenstars von
Biontech, Tesla und Co. entwickelt? Und wie
könnte es weitergehen? Ein Uberblick:
Biontech
Es ist eine Erfolgsgeschichte made in Germany,
an der auch zahlreiche Anleger aus Deutschland
teilhaben wollten: Die Aktien des Mainzer
Impfstoffherstellers Biontech zählten im
vergangenen Jahr zu den meistgehandelten
Papieren in Deutschland . Schließlich gelang
Biontech zusammen mit dem US-
Pharmakonzern Pfizer der Durchbruch bei der
Entwicklung eines Coronaimpfstoffs. Biontech
bescherte die Vakzine einen Umsatz von 17
Milliarden Euro, unter dem Strich dürfte für das
abgelaufene Geschäftsjahr laut
Analystenschätzungen ein Gewinn von rund zehn
Milliarden Euro stehen. Das beflügelte die
Biontech-Aktie: Auf dem Höhepunkt der Euphorie
hatte die Aktie im vergangenen Sommer ein
Allzeithoch von fast 400 Euro erreicht - nun ist
sie nur noch rund ein Drittel davon wert.
Denn wichtiger als vergangene Erfolge sind an
der Börse die zukünftigen Aussichten, und die
sind durchwachsen: So ist noch offen, ob künftig
weitere Booster-Impfungen gegen neue Corona-
Varianten benötigt werden, gibt die UBS
-Analystin Eliana Merle zu bedenken. Biontech
arbeitet zwar an weiteren Anwendungszwecken
für die mRNA-Technik - doch ob die Wette
aufgeht, ist ungewiss. Die UBS-Analystin sieht im
jüngsten Kursrutsch eine Rückbesinnung auf die
Fundamentaldaten. Auch für den Rivalen
Moderna ging es an der Börse kräftig bergab
die Aktie verlor seit Jahresbeginn rund 37
Prozent an Wert.
Tesla
Gegen Elon Musk haben schon viele Anleger
gewettet und verloren: Sogenannte Shortseller,
die auf fallende Aktienkurse setzen, nehmen den
Elektroautobauer Tesla seit Jahren immer wieder
aufs Korn. Sie verweisen auf die immer
wiederkehrenden Lieferverzögerungen - und auf
die aberwitzige Bewertung an der Börse. So sind
die Tesla-Aktien mehr als das 200-fache des
erwarteten Jahresgewinns für 2021 wert. Bei
deutschen Autobauern wie Volkswagen oder
Daimler liegt das KGV im einstelligen Bereich.
Die Mehrheit der Tesla-Anleger wollte davon
nichts wissen. Fans verweisen auf das rapide
Wachstum des Unternehmens und die enormen
Wachstumsaussichten für die Zukunft. Doch nun
muss auch Tesla Federn lassen: Seit
Jahresbeginn hat die Aktie mehr als zehn
Prozent an Wert verloren. Am Mittwoch könnte
Elon Musk seine Kritiker umstimmen - dann
präsentiert Tesla seine Bilanz.
Netflix
Der Streaming-Anbieter hat vor allem zu Beginn
der Pandemie einen regelrechten
Kundenansturm erlebt: Mehr als 36 Millionen
Kunden kamen im ersten Corona-Jahr hinzu. Das
Unternehmen nutzte die Gunst der Stunde und
erhöhte die Preise gleich zweimal. Die
Nutzerzahlen stiegen trotzdem immer weiter an.
Doch nun mehren sich die Anzeichen, dass es bei
Netflix nicht ewig mit dem rasanten Wachstum
weitergehen kann. Vor wenigen Tagen
erschreckte der Unterhaltungskonzern seine
Investoren mit einem nicht mehr ganz so rosigen
Ausblick . Für das laufende Quartal erwartet
Netflix lediglich 2,5 Millionen neue Kunden. Damit
blieb das Unternehmen deutlich unter den
Prognosen der Analysten. Die Aktie brach
daraufhin um mehr als 20 Prozent ein. Seit Mitte
November summiert sich der Verlust auf mehr
als 40 Prozent. Das vorläufige Ende eines
pandemiebedingten Börsenbooms - seit Ende März 2020 war die Aktie um bis zu 131 Prozent gestiegen. Netflix macht zudem zunehmend der Konkurrenzkampf zu schaffen. Inzwischen gibt es ein ganzes Geschwader an Netflix-Jägern:
Fast alle großen Entertainmentkonzerne haben
praktisch alle ihre eigenen Streamingdienste.
Und sie sammelten zuletzt schneller
Abonnentinnen und Abonnenten ein als Netflix.
HBO Max, Paramount Plus und Peacock haben
etwa zuletzt ihre globale Expansion massiv
vorangetrieben. Etablierte Anbieter wie Amazon,
Disney oder Apple mischen schon länger mit und
haben noch mehr Mittel zur Verfügung.
Branchenkenner werfen schon länger die Frage
auf, ob das Streaming-Geschäft auf eine
Ubersättigung zusteuert. Denn seitdem die
Lockdowns vorbei sind, haben Menschen
weniger Zeit Serien und Filme zu konsumieren und entscheiden sich meist für einen Anbieter.
Delivery Hero
Kaum ein anderes deutsches Unternehmen
funktioniert so sehr nach den Regeln des
Risikokapitals wie der Essenslieferdienst Delivery
Hero: Das Unternehmen wächst rasant, verbrennt
dafür aber Milliarden. Obwohl das Geschäft mit
Essenslieferungen in der Pandemie boomte,
muss das Unternehmen sein Wachstum offenbar
teuer einkaufen. Investoren zeigten sich zuletzt
zunehmend genervt, die Aktie verlor in den
vergangenen sechs Monaten mehr als ein Drittel
ihres Werts.
Kürzlich gelang es Chef Niklas Österberg
zumindest vorübergehend den Negativtrend zu
stoppen. Der schwedische Unternehmer
verkündete da, dass sein Essenslieferdienst noch
in diesem Jahr die Gewinnschwelle erreichen
will. Im vierten Quartal 2022 solle es endlich so
weit sein. Zweifelsohne wäre dieser Schritt für
das Unternehmen ein Meilenstein, ist das
Unternehmen doch der einzige Dax-Konzern, der
noch nie einen Gewinn ausgewiesen hat. Die
Aktie stieg nach der Ankündigung kurzzeitig um
mehr als fünf Prozent.
Doch inzwischen zeigt die Tendenz an der Börse
wieder deutlich nach unten. Investoren haben
offenbar keine große Hoffnung, dass Östberg der
Sprung in die Gewinnzone gelingt. Denn es ist
nicht das erste Mal, dass der Schwede so etwas
verspricht. Schon 2018 hatte er das Ziel zur
Erreichung der Gewinnschwelle kassiert und auf
unbestimmte Zeit verschoben.
Beobachter fürchten, dass es auch diesmal so
kommen dürfte. Denn der Liefermarkt ist härter
umkämpft als je zuvor. Neben dem
Branchenprimus und alten Rivalen Lieferando, an
den Delivery Hero 2019 sein
Deutschlandgeschäft abtrat, gibt es immer mehr
internationale Konkurrenz. Gut möglich also,
dass Delivery Hero weiteres Geld in die Hand
nehmen muss, um seine Marktposition
abzusichern.
Coinbase
Als Coinbase im vergangenen Jahr an die Börse
ging, machte das den Firmenchef Brian
Armstrong zum Multi-Milliardär: Die
amerikanische Kryptobörse hat massiv vom
Boom von Kryptowährungen wie Bitcoin oder
Ether profitiert. So stand im dritten Quartal ein
Umsatz von 1,2 Milliarden Dollar, der
Nettogewinn lag bei rund 406 Millionen Dollar
ein extrem einträgliches Geschäft also.
Doch dessen Aussichten hängen von der
Nachfrage nach Kryptowährungen ab - und die
sind angesichts der Zinswende in den USA unter
massiven Druck geraten. So hat sich der Bitcoin-
Kurs seit dem Allzeithoch im November etwa als
halbiert. Auch der Bitcoin-Rivale Ether und die
sogenannten Altcoins verloren drastisch an wert.
Kein Wunder also, dass es für die Coinbase-Aktie
seit Jahresbeginn um rund 24 Prozent bergab
ging.
Zoom
Auch der Videokonferenzanbieter Zoom
avancierte in der Coronapandemie zu einem
Liebling der Anleger: Ursprünglich hatte das US-
Unternehmen allein auf Videokonferenzen für
Unternehmen gesetzt. Doch in der Pandemie
griffen auch zahlreiche Privatnutzer auf die
Dienste der Firma zurück - vom Familientreffen
bis zur Fitnessstunde. Die Pandemie bescherte
Zoom zuletzt einen Quartalsumsatz von einer
Milliarde Dollar. Doch die Euphorie an der Börse
scheint dennoch verflogen.
Analysten erklären das wahlweise mit der
Aussicht auf eine langsame Rückkehr zur
Normalität: In vielen Ländern kehren Mitarbeiter
zurück in die Büros, die Abfertigungsschlangen
am Flughafen werden länger. Die
Kursentwicklung der »Work from Home«-Aktien
spiegele die »wachsende Realität wider, dass
sich die Welt langsam, aber sicher auf eine neue
Normalität zubewegt«, sagt Justin Tang vom
Vermögensverwalter United First Partners.